die Willensstarke

Sie kracht volle Kanne gegen die Bahn.
Dann schiebt sie ihre Sackkarre wieder etwas weg, rauft sich die zerzausten Haare und setzt wieder auf Koalisionskurs. Schlägt auf den S-Bahn-wagen ein, als hätte er ihr Baby gefressen. Die Scheibe knirscht. Die Frau brüllt, schreit reißt sich an den Haaren, zerkratzt sich ihre Arme. Die Leute in der Bahn schmunzeln leicht, wieder mal eine von diesen verrückten, hach ja ist die Welt nicht schön…
Die Frau zerrt jetzt den blauen Müllsack von ihrem Gefährt, greift sich ihr berolltes Hilfsmittel, hebt es über den Kopf und schleudert es gegen die Scheibe der Bahn. Die Fahrgäste zucken zusammen, und lachen dann auf, es ist ja nur ein Riss, haha lustig, verrückte Leute vandalieren… hahaHAA
Die Bahn fährt immernoch nicht weiter, keine Ahnung was da los ist.
Jetzt zieht die Zerstörungswütige , ihren Wagen weg, fast bis zum weißen Stopp-Streifen auf der anderen Seite des Bahnsteigs und beginnt zu rennen. -Die Fahrgäste schlagen sich auf die Schenkel ganz großes Schauspiel heute- Ihre Blümchenschürze, die mich an meine Ur-oma erinnert hält sie in einer Hand gebündelt fest, sonst würde sie ihre Beine behindern. Für einen Moment sehe ich die Augen der Frau. Sie sind unter den Zotteln kaum zu erkennen, trotzdem sehe ich die Wut, den blinden Hass, die Ausweglosigkeit und die damit verbundene Entschlossenheit das einzige zu tun, was jetzt noch richtig erscheint: Die Scheibe zerbrechen, ins Innere der Bahn gelangen. Nun ja, vielleicht bilde ich mir das auch nur ein…
Ihre Dreadhaarmatte flattert um ihren Kopf, sie greift sich ihr Metallgestell, rennt die letzten Meter ohne Rockhilfe und kracht ungebremst gegen die Scheibe, Splitter fliegen durch das Abteil, die zwei Menschen, die am Fenster saßen sind sofort tot, Einer hat eine riesige Glasscherbe im Auge, der Kopf des anderen ist einfach nur Blutüberströmt.
Die Leute lachen, johlen und übergeben sich vor ekel.

Die Frau hängt mit durchstochenem Unterleib im Fenster und spuckt Blut, sie kotzt und ringt um Atem. Ihre Waffe ist vor ihr durch die ungewöhnliche Bahnöffnung geflogen und hat jemandem den Schädel eingeschlagen. Sie versucht zu schreien, sich selbst aus den Scherben zu befreien, überall ist Blut. Und es wird nicht weniger.

Dann fährt die Bahn los.

Diese Verrückten!

Es gibt keine Verrückten.

Es gibt die „Norm“. Dieser Durchschnitt ist regional festgelegt, und wer ihn nicht erfüllt, wer zu sehr abweicht wird weggesperrt und „geheilt“. Aber es gibt keine Heilung für das Denken. Alles verändert sich stetig und damit auch die Tolleranz der Spannweite der Abweichung. Aber es gibt immernoch verrückte. Weiterlesen »