tote Vögel

Früher, als ich kleiner war, waren meine Schwester und ich sehr viel draußen und haben oft Zutaten für Hexentränke oder Beschwörungen gesucht. Oder einfach besondere Steine. Wir wollten große Verbrechen aufklähren, wie die drei Fragezeichen, oder die fünf Freunde. Einmal haben wir sogar einen Karton voller Zigarrettenschachteln unter einer Brücke versteckt gefunden, und wollten das der Polizei sagen. Dann waren wir aber doch zu ängstlich. Wir sind mit Detektivkasten und Bechern mit eingebauter Lupe durch den Park gerannt, haben Fotos mit Einwegkameras gemacht und mussten erst zuhause sein, wenn die Glocken läuten. Mit meinen besten Freundinnen habe ich dann oft auf dem Balkon unsere gesammelten magischen Brennesselblätter und die leuchtenden Trompetenblumen mit stinkendem Alkohol gemixt. Auf dem Balkon gab es nämlich ein Regal voller Flüssigkeiten, die alle mächtige Gerüche ausstrahlten, aber die buntesten Farben hatten und in den tollsten Flaschen herumschwappten. Das Klischee von Großstadtkindern, die denken dass die Kühe lila sind, war uns fremd.

Meine Familie hatte einen Schrebergarten, in dem wir sehr oft waren. Wir essen dort immernoch Abendbrot, wenn es warm ist.

Wenn man so die ganze Zeit draußen ist, im flachen, dreckigen Flusswasser fangen spielt und abseits der Wege nach Material für Zauberstäbe sucht, dann stolpert man unweigerlich über tote Tiere, die sich dort gegenseitig zerfleischt, oder ihren Frieden gefunden haben.

Das erste mal, dass meine große, damals allwissende, wunderbare Schwester und ich etwas Totes gefunden haben, war vor Jahren im Herbst. Eine Katze lag in einer der Hecken, die den Weg zum Garten begrenzen. Wir fanden sie nur, weil ich ein Efeublatt pflücken wollte (Ich hatte einen Packt mit meiner besten Freundin: solange keiner von uns beiden mit Schuhen auf Efeu tritt, bleiben wir Freunde).
Als erstes wusste keiner von uns beiden was wir tun sollten. Ich wollte sie mitnehmen, und begraben, meine Schwester war sich nicht sicher. Darf man tote Tiere anfassen? Die haben doch Krankheiten! Wir sind also erstmal zu unserem Vater in den Garten gelaufen, der dann mit uns die Katze aus dem Gebüsch kratzte. Sie war steif wie ein Brett und im Nachhein erinnert sie mich an Tom Sawyer.

Nach dieser Leichenbergung folgte unsere erste Tierbestattung. Sie war traurig. Und makaber. Wir gruben ein Loch in die gefrorene Erde, was ewig dauerte, und sehr frustrierend war. Besonders weil unserer Vater hinter uns stand und ständig sagte, wir müssten noch tiefer buddeln, sonst würden Tiere die Katze wieder rausholen und auffressen. Letztendlich half er uns aber doch.
Dann rissen wir die letzten verbliebenen Blätter von den Bäumen, um der Katze ein Bett zu machen. Dann legten wir die Katze hinein, wobei wir den Schwanz mit Gewalt biegen mussten, was komisch und traurig zugleich war.

Wir blickten in die blutigen Löcher, wo früher ihre Augen gewesen sein mussten.
Die Augen werden zuerst gefressen.
Dann sagten wir beide etwas.

Ich: Wir haben uns hier zusammengefunden, um dir, der toten Katze die letzte Ehre zu erweisen. Jeder von uns darf jetzt etwas sagen. (das hatte ich aus einem Film)

Schwester: Ich wünsche dir ein schönes Leben, nach diesem, wenn es ein Leben nach dem Tod gibt, was ich nicht glaube. Ich hoffe du hast Babys gehabt und dass die jetzt schon groß sind. Sie können dich hier besuchen, wenn sie wollen. Wir werden dein Grab in ehren halten. Ach so und es ist nicht schlimm, dass du tot bist, weil wir müssen alle mal sterben, und jetzt können die Maden dich aufessen, also ist das doch ganz gut, oder?

Ich:Schön, dass du existiert hast, Katze. Du hast bestimmt ganz viele Vögel getöten und gegessen, aber das ist nicht schlimm, weil das machen Katzen ja so. Und ähm, wir kommen ganz oft her und erzählen dir von deinen Kindern, wenn du willst. Falls du welche hattest.

Mein Vater sagte nichts.

Die Katze war nur die erste, von vielen Tieren die in unserem Garten begraben wurden. Im laufe der Zeit fanden wir Igel und Mäuse und Vögel, aber eine Katze fanden wir nicht nochmal. Auf diese Weise, mit Grube ausheben, Blätter und Blumen reinlegen und eine Abschiedsrede halten, wurden noch sehr viele Tiere begraben. Unter anderem auch unsere Meerschweinchen und Mäuse. Bei sehr wichtigen Tieren stellten wir manchmal auch bemalte Steine her, die nach dem nächsten Regen nurnoch Steine waren, oder Kreuze aus Holz, mit Klebeband zusammen gehalten.

Unsere Begräbnisse waren immer feierlich und mit Traurigkeit verbunden, unsere Reden folgten oft dem Muster, dass wir dem Tier erzählten, warum es gut war, dass es gestorben ist. Und, dass wir hofften, das Loch tief genug gegraben zu haben, damit das Tier nicht gefressen würde. Wir wären keine guten Trauerredner, ich weiß. Aber wir taten es so gut wir konnten, und für uns zwei-später für uns drei- waren die Begräbnisse immer angemessen.

Und heute hat wieder ein Begräbnis stattgefunden. Diesmal mit nur einem Trauergast, mir selbst. Meine große Schwester ist schon länger zu weit weg und meine kleine hatte keine Lust, deshalb habe ich die Amsel allein begraben.

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Ein Loch gebuddelt, Eisstückchen als Grundlage, darauf Brombeerblätter. Dann den Vogel mit dem blutigem Kopf daraufgebettet und noch eimal Blätter. Erdbeerblätter. Zum schluss die Erde. Und die Abschiedsrede.

Es ist in Ordnung, dass du tot bist. Du hast tapfer gekämpft, bist aber trotzdem gestorben. Dein Mörder hat dich nichtmal aufgefressen. Was schon ziemlich fies ist. Deshalb beerdige ich dich jetzt, obwohl ich dich garnicht kenne. Ich hoffe übrigens es ist okay, dass du in der Erde bist- Normalerweise müsste ich dich ja in der Luft begraben, aber ich weiß nicht so genau wie das gehen soll. Außerdem ist unter den Menschen beerdigen etwas wertschätzendes, also denk ich mal das ist schon ganz gut so. Ich hoffe du hast ein gutes Leben, nach diesem, wenn es das gibt, und ich hoffe du warst einigermaßen zufrieden in diesem. Ich weiß allerdings leider nicht ob Amseln glücklich sein können, ich war noch nie eine. Ist das jetzt eigentlich zu verallgemeinernd, wenn ich sage dass ich nicht weiß, ob man als Amsel glücklich sein kann? Du warst ja ein Individuum. Naja, egal. Auf jeden Fall wünsche ich dir viel Spaß im Jehnseits, wenn es das gibt.

Zum Abschluss eine Schweigeminute.

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